Die Mauer als Medium

Bild, Medium, Ideologie in den Wall Views von Marcus Kaiser

Knut Ebeling

Die Ereignisse beziehen sich nicht auf ähnliche sondern auf die Grenze:
den Unterschied: die Entfernung und den Versuch sie zu beschreiben
Uwe Johnson


1962 oder 1963, unmittelbar nach dem Bau der Berliner Mauer, schreibt Maurice Blanchot einen Text über »Berlin« [1] – einen einigermaßen schwer zu lesenden Text, der nicht nur aus dem Grund abenteuerlich ist, weil er eine Übersetzung ohne Original darstellt: Geschrieben für ein legendäres internationales Zeitschriftenprojekt, dem unter anderem Autoren wie Italo Calvino, Uwe Johnson und Ingeborg Bachmann angehörten, wurde der Text zunächst auf italienisch publiziert (wobei jedoch das französische Manuskript verloren ging, weswegen alle Übersetzungen, die in der Folgezeit in weiteren Zeitschriften kursierten, von der italienischen Übersetzung angefertigt wurden). [2] Nein, der Text ist nicht nur aus dem Grund abenteuerlich, weil die Übersetzungen ohne Original anschließend durch diverse internationale Gazetten geisterten, von der amerikanischen Semiotext(e) bis zu dry, der Revue des Berliner Merve-Verlags. Dem radical chic der Publikationsorgane – Semiotext(e) publizierte »Berlin« in der selben Nummer wie Texte von William Burroughs oder Ulrike Meinhof [3] – entsprach die Diktion eines Textes, der merkwürdig zwischen Essay und Buchkritik, Philosophie und Literatur, Theorie und Empirie changierte: »Berlin«, so Blanchot, sei nicht nur der Name einer Stadt und eines Ortes. Spätestens seit dem Mauerbau sei Berlin auch das Synonym für das menschliche Vermögen des Teilens, des Unterscheidens und der Abstraktion. In Berlin und mit der Mauer sei die menschliche Fähigkeit der Abstraktion auf ihren Begriff und fast möchte man sagen: auf ihr Bauwerk gebracht worden. Die Berliner Mauer ist ein Monument der Teilung, ein Monster der Abstraktion:

»Berlin ist für alle das Problem der Teilung. (…) In einer weiteren Hinsicht ist es ein metaphysisches Problem: Berlin ist nicht nur Berlin, sondern das Symbol der Teilung der Welt (…). Die haltlose politische Abstraktion, die Berlin darstellt, hat an dem Tag ihren höchsten Ausdruck gefunden, als die Mauer, die indes etwas auf dramatische Weise konkretes ist, errichtet wurde. Bis zum 13. August 1961 blieben durch die Abwesenheit einer sichtbaren Trennung (…) die Natur und die Bedeutung der Teilung zweifelhaft.« [4]

Das menschliche Vermögen, Dinge zu unterscheiden und willkürlich zu teilen, ist, daran lässt Blanchot keinen Zweifel, absolut monströs. Dabei wird noch nicht einmal auf das Schicksal einer politischen Teilung angespielt; vielmehr wird die politische Teilung zu einer Folge der menschlichen Fähigkeit erklärt, Dinge zu unterteilen und zu abstrahieren. Denn anders als in anderen Städten sei die Teilung in Berlin nicht Ergebnis einer irgendwie natürlichen, ethnischen, religiösen oder kulturellen Differenz; die Berliner Teilung war ein politischer und ideologischer Willkürakt, absolut abstrakt, total monströs.

Die Teilung des Bildes

Der Anlass für »Berlin« sind Texte der Teilung, die wie Uwe Johnsons Mutmaßungen über Jacob (1959) oder Das dritte Buch über Achim (1962) das politische Schicksal einer Nation auf dem Träger von Schrift und Sprache austragen. Zehn Jahre vorher hatte Blanchot nicht über Texte der Teilung gesprochen, sondern die Teilung des Bildes behandelt. [5] Denn wie der Text und jedes geschriebene Wort die Welt metaphysisch einteilen in eine gedachte und eine wirkliche Welt, so produziert auch jedes Bild eine Teilung: Es löst das Bild als Werk von der Welt ab, es extrahiert ein unveränderliches Bild von einer wechselnden Welt. Jedes Bild bedeutet also eine Trennung oder Teilung, eine Negation, wenn man so will, eine Verkehrung. In einem entsprechenden Text aus dem Jahr 1950 wird das Bild als »Grenze nahe dem Unbestimmten« definiert.

Diese Grenze – auf die vor allem im Bezug zu Johnson zurückzukommen sein wird –, diese Grenze erhebt den Menschen zum »Meister der zur Form gewordenen Abwesenheit«. Und dann der zentrale Satz: »Das Bild, fähig, das Nichts zu verneinen, ist auch der Blick des Nichts auf uns.« Das Bild unterscheidet und teilt die Welt in das Nichts, das es verneint, und die Substanz des Bildes, die bejaht wird. Was es zeigt, ist zwar hinlänglich sichtbar und positiv, doch die Sichtbarkeit ist erkauft um den Preis des Ausschlusses und der »Abwesenheit« des Nichts, das im Bild keinen Platz mehr hat und dessen »Meister« der Bildermacher Mensch wird. Aus diesem Grund schreibt Blanchot, »unter dem Schein des blendenden Glanzes« sei das Bild »das Negativ der unerschöpflichen negativen Tiefe«. Das Nichts, die »unerschöpfliche negative Tiefe«, bleibt also stets die Rückseite des »blendenden Glanzes« der Sichtbarkeit des Bildes. Das Bild kann also nach Blanchot als fundamental ambivalent und zweiseitig definiert werden: Es ist die Grenze, die die Welt in eine sichtbare und eine unsichtbare einteilt. Doch wie verhält sich die Grenze des Bildes zu den Bildern der Grenze, die Marcus Kaiser vorführt? Wie passt die Teilung des Bildes zu Kaisers Bildern der Teilung?

Die Bilder der Teilung

Die Frage ist zugleich die Antwort: Kaiser zeigt Bilder der Teilung – und zwar von einem Ort und auf eine medientechnische Weise, die die Bilder der Teilung zum Vermögen der Teilung in Beziehung setzt. Seine Arbeit bezeichnet präzise den Ort, an dem das philosophische Vermögen der Teilung auf das medientechnische Verfahren der Spaltung der Welt trifft. Denn wenn jedes Bild die Welt teilt und transzendiert, dann ist auch die Medientechnik namens Fotografie an der Teilung des Bildes beteiligt; auch das fotografische Bild ist ein Bild, das die Welt teilt und »das Sein spaltet«. [6] Der Fotoapparat ist demnach ein Agent der Teilung und der Grenze, denn er produziert ein Bild, das die Welt in eine reale und eine abgebildete spaltet.

Diese Bilder der Teilung und der Grenze, die zugleich die Grenze und die Teilung des Bildes indizieren, kamen folgendermaßen zustande. Im Januar/Februar 1990 – der Zeitpunkt ist signifikant, denn die Berliner Mauer war gerade geöffnet genug, um Fotografien von beiden Seiten machen zu können, sie war aber andererseits noch nicht lang genug offen, um als Monument vollständig zu verschwinden – im Zwischenstadium des Jahres 1990 macht Kaiser eine Bestandsaufnahme der Mauer. Das Monument zeigt bereits beträchtliche Verschleißerscheinungen; nach nur wenigen Monaten Maueröffnung ist es löchrig und porös geworden: Löcher und Schlitze, Kerben, Narben und Spalten. Doch was man gewöhnlich mit dem Begriff der »Mauerspechte« entdramatisiert, ist in Wirklichkeit eine Arbeit an der Ideologie: Das Monument der Ideologie zeigt Öffnungen, Risse und Durchbrüche, die von beiden Seiten betrachtbar sind. Dabei war der Blick auf die andere Seite 1990 nicht mehr annähernd so gefährlich wie vorher, schließlich konnte man nun einfach um die Mauer herumgehen und die andere Seite studieren.

Mauer/Medium

Dabei betrachtet Kaiser nicht distanziert das ›Bild der anderen Seite‹. Er ersetzt die Frage nach der kulturellen Konstruktion dieses Bildes durch die Frage nach seiner technischen Konstitution: Er fotografiert keine Löcher in Mauern, sondern vom Loch der Mauer aus. Hier ist nicht das Medium die Message, wie in dem Slogan Marshall McLuhans, sondern die Mauer wird zum Medium. Kaiser transformiert eine Mauer in eine Kamera, er beschäftigt sich mit einem Monument, nicht mit einer Ideologie. Diese signifikante Positivierung, mit der eine ganze Tradition der Ideologiekritik ins Leere läuft, funktioniert wie folgt: Kaiser montiert Bildplatten in Maueröffnungen und klebt sie derart ab, dass eine primitive Lochblende entsteht. Die Mauer wird zur Camera Obscura, ihre Dicke zum Kamerainnenraum – zu einer Strecke, die das Licht bündelt, zusammenfasst und die Strahlen auf diesem Weg verkehrt. Auf den fünfzehn Zentimetern, die die Mauer mächtig ist, entsteht ein Lichteinfall, ein gebündelter Strahl: ein Bild. Ein Bild von der anderen Seite. Womit die Verkehrung des Bildes im philosophischen Sinn auf die physikalische Verkehrung der Lichtstrahlen innerhalb der Camera trifft.

Doch das Bild von der anderen Seite ist zunächst banal; die Schlüsselloch-Perspektive – die ihrerseits bereits ihre Geschichte der Indiskretion hervorgebracht hat – zeigt Häuserfassaden und Fernsehtürme, Autos, Bäume und Baukräne. Bei den Orten der Mauerblicke handelt es sich zwar um historisch aufgeladene Orte wie den Reichstag, den Potsdamer Platz oder den Grenzübergang Prinzenstraße. Doch was diese Orte, diese Übergänge zu sehen geben, ist irgendwie enttäuschend: Auf der anderen Seite sehen wir Mauern und Menschen, Tristesse, Dämmerung und Niemandsland. Kurz: In seiner rohen, ungestalteten Ästhetik entbirgt das Bild von der anderen Seite dasselbe, was auch auf dieser Seite zu sehen ist. Das ist das ernüchternde Geheimnis der Ideologie: Sie zeigt nicht das Andere, sondern das Gleiche, nur umgekehrt und verkehrt herum. Auf der anderen Seite sieht es genauso aus wie auf dieser, nur anders und umgedreht. Auch die Ideologie besteht also, wie das Bild, und wie die Medientechnik der Camera Obscura, im Verfahren einer Verkehrung.

Das Bild der Grenze

Doch was hat die Camera, die verkehrte Bilder von der Welt abteilt, mit Weltbildern und Ideologien zu tun, die die Welt ihrerseits einteilen und verkehren? Mit was für einer Verkehrung haben wir es im Fall der Weltbilder und Ideologien zu tun, wieso bedeutet die Ideologie von sich aus schon eine Verkehrung? Einen Hinweis darauf, dass Ideologien und Grenzen etwas mit Verkehrungen zu tun haben können, liefert eine Passage aus Blanchots Text, die sich direkter mit Johnsons Romanen beschäftigt – schließlich wurden Johnsons Mutmaßungen über Jacob 1962 in Paris unter dem Titel La frontière (die Grenze) publiziert. In »Berlin« befragt Blanchot das Wesen der Grenze, und er beschreibt es dort so, dass »Grenze« und »Ideologie« zusammenfallen:

»Was war das da? Eine Grenze? (…) Sicher (…), das Überqueren bedeutete, nicht von einem Land ins andere, von einer Sprache in die andere zu passieren, sondern im selben Land und in derselben Sprache von der ›Wahrheit‹ zum ›Irrtum‹, vom ›Bösen‹ zum ›Guten‹, vom ›Leben‹ zum ›Tod‹, und so, gleichsam ohne es zu wissen, einer radikalen Metamorphose unterworfen zu sein (wenngleich man nicht anders als durch eine parteiische Überlegung entscheiden könnte, wo genau sich dieses so brutal voneinander geschiedene ›Gute‹ und wo sich dieses ›Böse‹ befindet.)« [7]

Die Grenze kann also eine Verkehrung und einen Seitenwechsel implizieren, ein »Überqueren«, das wiederum mit einer Ideologie als »parteiische Überlegung« zusammenfallen kann. Wer etwas überquert – wie Jakob, der »immer quer über die Gleise gegangen ist« [8], wie es im ersten Satz der Mutmassungen über Jakob heißt –, kann durch eine ideologische Entscheidung die Seiten wechseln, ebenso wie man durch eine »parteiische Überlegung« die Grenze überquert. Alles bezieht sich auf die Grenze, vielleicht ist alles die Grenze, die die verschiedenen Positionen distribuiert und die Rollen verteilt. Entsprechend lautet das Motto von Das dritte Buch über Achim: »Die Ereignisse beziehen sich nicht auf ähnliche sondern auf die Grenze: den Unterschied: die Entfernung und den Versuch sie zu beschreiben.«

Doch wie soll man die Grenze schreiben, wie soll man sie abbilden? Wenn die Frage nach dem Schreiben der Grenze die Frage Johnsons war, ist die Frage nach dem Bild der Grenze die Frage von Kaisers Mauerbildern: Wie bildet man Grenzen ab, wenn jedes Bild bereits Effekt und Produkt dieser Grenzen ist? Kaiser hat eine einfach komplizierte Antwort auf diese Frage gefunden; bei ihm wird die Teilung des Bildes von den Bildern der Teilung gekontert – von Bildern, die die Teilung nicht nur abbilden, sondern selbst Teilung sind und sie austragen, indem die Teilung des Mediums ins Monument der Teilung verlegt wird.

Doch wenn es einen internen Zusammenhang gibt zwischen Grenze und Ideologie, wie verhält es sich dann mit der Camera Obscura? Gewiss, die Lichtbündelung der Camera stellt eine Verkehrung dar – doch hat die Camera aus diesem Grund schon etwas mit der Ideologie zu tun? Welche Rolle spielt die Camera in der Komplizenschaft von Grenze und Ideologie? 1973 schreibt die französische Philosophin Sarah Kofman ein Buch über die Camera Obscura als visuelle Metapher für die Ideologie oder das Ideologische. [9] Bekanntlich war die Camera Obscura medienhistorisch eine Technik der Herstellung, Auslesung und Distribution von Bildern in neue Oberflächen. [10] Doch gab es nicht nur eine spannende Mediengeschichte der Camera; spätestens im 19. Jahrhundert gesellte sich neben die Camera lucida auch ein Diskurs über diese optischen Medien. Dieser Diskurs verwendete die Camera als Modell oder Metapher für diverse Dinge – beispielsweise für die Ideologie. Kofmans Buch beschreibt, wie drei Meisterdenker des 19. Jahrhunderts – Marx, Freud und Nietzsche – allesamt Metaphern der Camera Obscura einsetzten: In ihren Texten wurden aus der physikalischen Verkehrung von Lichtstrahlen die philosophischen Verkehrungen der realen Welt, die in die Welt der Begriffe und Gedanken übersetzt und gebündelt werden müsse: Ebenso wie die Camera ein umgekehrtes Spiegelbild der Welt herstellt, so müsse auch der Philosoph und Denker in seinen Begriffen die Welt verkehren und auf diese Weise ihrer ›Wahrheit‹ zuführen.

Mit anderen Worten: Zu den beiden genannten Verkehrungen des Bildes – der philosophischen und der physikalischen – kommt nun noch die Verkehrung hinzu, die die Ideologie bedeutet.

Das Monument als Medium

Die Verkehrung eines Bildes, in der eine Ideologie besteht, wird also auf seinen philosophischen und medientechnischen Begriff gebracht – oder auf sein medientechnisches Monument, denn schließlich fallen Medium und Monument im Fall der Mauer (und seit dem Mauerfall) zusammen: Schließlich ist die Mauer nicht irgendein Monument, das hier als Camera dient, um umgedrehte Bilder zu erzeugen; die Mauer ist von sich aus bereits das ideologische Monument, an dem sich die Weltbilder brechen. Als Monument gewordene Ideologie bezeichnet die Mauer die Grenze, die Weltbilder ins Gegenteil verkehrt. Wenn Kaiser aus der Mauer als dem Monument der Ideologie eine Camera macht, dann bezeichnet seine Arbeit genau den Punkt, an dem die Ideologie der Verkehrung auf die verkehrende Medientechnik trifft.

Bild, Medium, Ideologie – auf diese Begriffe lässt sich die dreifache Verkehrung dieser Arbeit bringen: Kaisers Camera Obscura zeigt erstens das Verkehrte, das Ideologische, die andere Seite innerhalb eines Monumentes, das selbst bereits ein Zeichen der Ideologie und der Verkehrung darstellt. Er zeigt die Ideologie zweitens als medientechnischen Effekt einer Camera Obscura, die physikalisch bereits das Licht bündelt und seine Strahlen verkehrt. Und drittens zeigt diese Medientechnik ein Bild, das nicht nur bildtechnisch, als Bild der Camera Obscura, verkehrt herum ist, sondern das als Bild auch philosophisch die Welt in ein Sein verkehrt. Kurz: In Kaisers Mauerbildern begegnet das physikalisch verkehrte Bild dem Bild als philosophischer und ideologischer Verkehrung. Besser und technisch genauer kann man das Geschäft der Ideologie nicht auf den Punkt bringen. Hier wird die Aktivität des Durch-die-Mauer-Blickens – also der Verfertigung der Ideologie – technisch reflektiert; man hat es mit einer technischen Reflexion auf die Methode der Ideologie zu tun. Kaisers Mauerbilder sind eine Archäologie der Ideologie oder des Ideologischen, indem sie die Methode der Ideologie auf ihre materiellen und technischen Wirklichkeitsbedingungen treffen lassen.

Die ideologische Halluzination trifft also gewissermaßen ihr technisch Reales – das bereits in den Staubkörnern der Mauerinnenseite insistiert, die während der Belichtung in einer Art Selbstabbildung der Camera sichtbar werden. Kaisers Blick ins Innere eines Mediums namens Mauer macht nicht zuletzt den verborgenen Code einer visuellen Repräsentation sichtbar. Durch diesen Blick ins (sonst verborgene) Medium der Kamera gerät die Verfertigung von Bildern ins Blickfeld, nicht das Bild. Hier wird kein Objekt abgebildet, Objekt dieser Mauerbilder ist die Entstehung objekthafter Visualität, die Bildwerdung als Umschlagplatz visueller Repräsentation. Was hier sichtbar wird, ist die rohe Außenseite der Ideologie produzierenden subjektiven Innenseite; schließlich fotografiert hier kein Subjekt, sondern die Camera, das Medium: die Mauer. Die Mauer fotografiert. Daher die sichtbar werdenden Störfaktoren wie Staubkörner – oder auch der Film selbst, der auf einigen Abbildungen erscheint. Und daher aber auch der starre, vorgegebene Ausschnitt, die statische, maschinelle – oder vielleicht sollte man lieber sagen: monumentale – Brennweite. Hier fotografiert kein Subjekt, sondern ein Monument. Niemand blickt, es ist der »Blick des Nichts auf uns« (Blanchot). Das Niemandsauge schafft ein anonymes und neutrales Bild, ein entstaltetes Bild, das niemand vorher gesehen hat. In diesem Bild »ist die neutrale und unpersönliche Beziehung des Blickes zur Tiefe ohne Blick und Umriss, die Abwesenheit, die man sieht, weil sie blendet.« [11]


[1] Maurice Blanchot, »Berlin«, in: ders., Politische Schriften 1958-1993, Berlin/Zürich 2007. S. 79-83
[2] Zur Publikationsgeschichte dieses Textes vgl. Blanchot, Berlin, S. 83
[3] Semiotext(e), vol. IV, n°2, New York 1982, pp. 60-66
[4] Blanchot, Berlin, S. 79ff
[5] Maurice Blanchot, Das Museum, die Kunst und die Zeit, Köln 2007, S. 55f
[6] Georges Didi-Huberman, Der Tod und das Mädchen. Literatur und Ähnlichkeit nach Maurice Blanchot, in: Trajekte. Zeitschrift des Instituts für Literaturforschung Nr. 9, 5. Jahrgang, Oktober 2004, S. 33
[7] Blanchot, Berlin, S. 81
[8] Uwe Johnson, Mutmaßungen über Jakob, Frankfurt am Main 1959, S. 7
[9] Sarah Kofman, Camera Obscura. De l’idéologie, Paris 1973
[10] Vgl. Friedrich Kittler, Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin 2002
[11] Maurice Blanchot, Die wesentliche Einsamkeit, Berlin 1959, S. 44